J.S. Bach: Singet dem Herrn ein neues Lied - Motetten und frühe Kantaten

[Besetzung: SSAATTBB, 12 Instrumentalisten, Leitung]

Konzertkritiken

 

Motetten und Kantaten unter der Lupe

Für den Gottesdienst komponierte Musik im Konzertsaal schon lange ist das keine Seltenheit mehr im heutigen Konzertbetrieb, und trotzdem mutet das inständige Flehen "Komm, Jesu, komm" zunächst befremdlich an, nimmt man es wörtlich. Konrad Junghänel und dem von ihm 1987 gegründeten Ensemble Cantus Cölln gelang in ihrem Konzert "Singet dem Herrn ein neues Lied" beides: Bewusstwerdung des Textes und Bezauberung durch sinnfällig gemachte Musik. Die drei doppelchörigen Motetten (BWV 225, 226 und 229) Bachs musizierte Cantus Cölln in solistischer Besetzung, also acht Sänger auf acht Stimmen verteilt. So zeigten die dicht komponierten Sätze ihre Brillanz, wurden durchhörbar und das Gewirk der Einzelstimmen offenbarte seine Strukturen.
Dass dies nur mit besten Sängern darstellbar ist versteht sich von selbst. ... Hier wurde der große Erfolg des Ensembles verständlich, die Verbindung von selbstbewusster Eigenständigkeit und gleichzeitiger Homogenität im Gesamtklang. Konsequent führte Konrad Junghänel sein Aufführungskonzept mit der Hereinnahme von Kantaten (BWV 4, 12 und 196) in das Programm fort.
In kleinstmöglicher Anzahl der Musiker richtete er gleichsam ein Vergrößerungsglas auf die musikalische Aussage... Verschränkungen und Vorhalte, Überbindungen und Reibungen gingen nicht in einem Klangse unter, sondern traten klar zutage. "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen" nahmen in zutiefst menschlicher Regung Gestalt an...
Konrad Junghänel leitete sein Ensemble mit leicht tänzerischer Bewegtheit, beschränkte sich oft darauf, dynamische Veränderungen anzudeuten und das Tempo zu variieren. Gerade die Tempi waren es, die zum Verständnis der Werke beitrugen. Sacht zurückgenommen, wurde so die vermeintliche Todessehnsucht zu einer Sehnsucht nach Frieden und Ruhe. Eine Durchdringung des Notentextes machte dieses Musizieren so beglückend, es bedurfte keine weiteren Erklärung, sondern nur des aufmerksamen Lauschens. So half der Geist dieser intensiven Musil eben doch unserer Schwachheit auf.
Erna Rauscher-Steves, Schweinfurter Volkszeitung und Tagblatt, 20.04.2010

Die solistische Aufführungspraxis hat hier einen ohrenscheinlichen Beweis erbracht, dem philologische Mühsal unerreichbar hinterherhinkt und den noch so insbrünstige Kantoreien nicht widerlegen können. Genau so müssen die aufgeführten Werke klingen - drei frühe Kantaten und drei Motetten aus Bachs Leipziger Zeit. Nach dieser Offenbarung möchte man sie nie wieder von einem Chor hören, der sich wie ein Kamel durchs Nadelöhr der Sechzehntelketten zwängt.
Eßlinger Zeitung, 3.11.2007

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